Thursday, April 06, 2006

H5N1

Tagesthemen, ZDF, 22:19. Vogelgrippe in Deutschland. Interview mit Geflügelzüchtern, deren 'Bestände' nun 'gekeult' werden müssen. Ein Geflügelzüchter in Latzhosen glotzt mit wehleidigem Blick in die Kamera, hinter ihm werden LKWs mit großen weißen Säcken beladen: "Es ist ja nicht nur ein finanzieller Verlust, irgendwie sind einem die Tiere ja auch ans Herz gewachsen." Ich spüre, wie mir dieser Geflügelzüchter augenblicklich ans Herz wächst. Eine Woge der Zuneigung durchflutet warm-triefend meinen Gefühlshaushalt und schwappt geradewegs an mein Herz heran, in das ich ihn mittlerweile geschlossen habe. Ein aufrichtiges, edles Gefühl. Ich fühle seinen Schmerz. Mag ihn. Liebe ihn, diesen vom Schicksal so hart getroffenen Menschen. Seine Existenz steht auf dem Spiel, aber das ist es nicht. Es spielt keine Rolle, kümmert ihn nicht in Anbetracht des ungleich größeren emotionalen Verlustes: die Tiere, die er liebt, werden vor seinen Augen vergast. Zu den paar tausend ältesten unter ihnen hat er während der letzten 38 Tage eine tiefe emotionale Bindung aufgebaut. Die wollten morgen sogar verreisen und man weiß ja, wie ärgerlich es ist, direkt vor einer Reise krank zu werden. Nun bleibt nur er zurück, alleingelassen mit seinem Leid, seiner Trauer. Liebes H5N1-Virus, ich habe Dich noch nie um etwas gebeten, das weißt Du. Aber was kann ich schon von hier aus für den Latzhosenmann tun? Ich muss die Tragödie hilflos aus der Ferne mit ansehen. Wäre es bitte möglich, daß Du Dich ein wenig um ihn kümmerst, wo Du doch schon gerade in der Nähe bist?? Es könnte mit einem einzelnen Husten beginnen, Heiserkeit, wie sie so häufig mit dem Geben von Interviews einhergeht. Tränende Augen, verständlich, wenn einem das Schicksal so übel mitspielt. Dann würde ich vorschlagen, daß er etwa 48 Stunden später hohes Fieber bekommt. Dabei bitte mit Blut durchsetzte Schleimklümpchen hustend. Gelb-grüne Eiterklümpchen, wenn das irgendwie möglich wäre. Gelb-grüne Eiterfitzelchen würden mir glaube ich besonders effektiv dabei helfen, seinen Verlust nachzufühlen. Das war schon immer so. Ich habe mich häufig gefragt, weshalb gelb-grüne Eiterbatzen in mir solche tiefen Empfindungen der Mitmenschlichkeit wachrufen. 72 Stunden später die Rechnung für den weißen Plastiksack, in den man ihn samt Latzhose reinstopft, bitte an meine Adresse. Das Mindeste, was ich für ihn tun kann.

1 Comments:

Blogger Hans Kolpak said...

Mir kommen die Tränen. Wer für hingerichtete Tiere Subventionen über dem Marktpreis erhält, muß schon etwas wehleidig in die Kamera schauen, will er nicht geteert und gefedert werden. So hat man es früher irgendwann mal getan.

Was uns da aufgetischt wird, ist kein Putenschnitzel, sonder starker Tobak, der bekanntlich Lungenkrebs provoziert.

Was soll das?

Hans Kolpak
Biß der Woche

11:39 pm  

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